Noch in der Renaissance und zu Beethovens Zeiten war sie die berühmteste Muse der Philosophen, Dichter und Gelehrte: Urania – die Gottheit der universellen Liebe und des heiligen Geistes. Häufig wird sie umhüllt von einem Gewand aus Sternen dargestellt, ihre Augen sind gen Himmel gerichtet; in einer Hand hält sie einen Globus und in der anderen Hand einen Zirkel. Urania wird die Fähigkeit zugesprochen die Zukunft vorherzusagen.
Gerade habe ich die Tiedge-Vertonungen von Beethoven gesungen und immer noch hallen die Verse in meinem Kopf nach. Tiedges Urania wurde 1801 öffentlich – nur 4 Jahre später komponiert Beethoven An die Hoffnung Op.32 . Der Text, der sich auch mit der Philosophie von Kant beschäftigt – muss Beethoven sehr kostbar gewesen sein. Es wird vermutet, dass bereits 1805 Tiedges Verse ihm Trost gaben sich mit der Vorahnung einer voranschreitenden Taubheit auseinanderzusetzen. Es wundert nicht, dass Beethoven 1813 die Verse neu komponiert und mit An die Hoffnung Op.94 aus einem Strophenlied ein formal komplexes Musikstück wird, wobei die Melodie der Harmonik und des persönlichen Duktus untergeordnet ist.
Wie auch unser 2ter Neuer Leipziger Kulturzirkel Von Gottheiten und anderen Gestalten gezeigt hat, der bei Autor und Rechtsanwalt Alexander Pape stattfand, sind Gottheiten und Mythen alles andere als antiquiert.
Also es lohnt sich eine Muse in einer Gottheit zu finden.
Zur Einstimmung in eine neue kreative Woche hier der komplette erste Gesang aus Christoph August Tiedges URANIA:
Klagen des Zweiflers
Mir auch war ein Leben aufgegangen,
Welches reich bekränzte Tage bot;
An der Hoffnung jugendlichen Wangen
Blühte noch das erste, zarte Rot;
Auf der Gegenwart umrauschten Wogen
Brannt‘ ein Morgen, schön, wie Opferglut;
Hohe Traumgestalten zogen
Stolz, wie Schwäne, durch die rote Flut;
Leichte Stunden rannen schnell und schneller
An dem halberwachten Träumer hin,
Und die Gegend lag schon hell und heller,
Nur auch wüster, da vor meinem Sinn.
Forschend blickt‘ ich in die weiten Räume;
Aber bei dem zweifelhaften Licht
Sah ich jetzt nur meine Träume!
Wahrheit selbst, die Wahrheit sah ich nicht!
O der Helle, die dem guten Schwärmer
Nichts zu zeigen hat, als seine Nacht!
O des Lichtes, das den Glauben ärmer,
Und die Weisheit doch nicht reicher macht!
Stolze Weisheit! durftest du mir’s rauben,
Das erhabne, stille Seelenglück?
Nimm, was du mir gabst; nur meinen Glauben,
Meine Hoffnung nur gieb mir zurück,
Daß mein Haupt auf ihren Schoß sich neige,
Und dies Herz, das schwere Seufzer trug,
Ihr die Narben von den Wunden zeige,
Welche mir das harte Leben schlug!
Wie geschreckt von einem grausen Fluche,
Der aus einem Himmel mich verstieß,
Fahr‘ ich zitternd auf, und suche
Mein verlornes Paradies.
Friede war um mich. Durch Blumenstellen
Wandelte mein unbefangner Schritt,
Wie ein Lenztag, der aus seinem hellen,
Sonnenroten Morgenhimmel tritt.
Hin, dahin ist diese holde Jugend
Einer Zeit, die blühend mich umfing!
Stumm die Gegend, wo die stille Tugend
Einer hohen Seele ging!
Jedes Thal, voll Ruh‘ und Abendröte,
Mahnet mich an Hehras Seelenflug,
Als sie auf den Blick zum Himmel schlug,
Und der Geist, der ihr Gefühl erhöhte,
Meine Seel‘ auf Engelflügeln trug.
Mitten durch die finstern Grabcypressen
Leuchtet jener Abend mich noch an,
Jener Sternenabend – unvergessen
Strahlt mich seine ernste Feier an.
Wie verherrlicht! wie empor gehoben!
Einer heiligen Entzückung gleich,
Rief sie aus: »Zum Wiedersehn dort oben
Sei gegrüßt, du stilles Geisterreich!« –
Zu dem Strahl, der ihr Gemüt besonnte,
Flog mit ihr auch meine Seel‘ empor.
Ach! die Zeit, als ich noch glauben konnte,
Sie ging unter, wie ein Meteor,
Das am ausgestorbnen Horizonte
Keinen Wiederaufgang feiern darf!
Zeig‘ am Leben mir die rote Stelle,
Jenen Lichtblick, den die Morgenhelle
Einer andern Welt herüber warf![263]
Ja! wir dünken uns erhabne Götter,
In des Lebens Seligkeit vertieft;
Doch wie anders, wenn ein dunkles Wetter
Unsern innern Lichttag prüft!
Finster schweigend liegt vor mir die Ferne!
Wie vom Sturm empor gejagt,
Richtet zwischen mir und meinem Sterne
Sich der Zweifel auf, und fragt:
»Sein und Werden! seid ihr Dunstgebilde,
Die aus tiefer Nacht herüber wehn,
Und zerflatternd in dem Traumgefilde
Dunkler Phantasien untergehn?« –
Wenn ich sinnend durch das Leben walle,
Dann erscheint mir das Gebiet der Zeit
Wie der Schauplatz einer Schattenhalle,
Wo die Täuschung ihre Bilder reiht.
Traurig! traurig! seine Lauberhütten
Wie an einen Abhang, in das Graun
Einer ewigen Zerstörung, mitten
Unter Truggestalten hinzubaun!
Keinen Aufblick eines holden Strahles,
Der den Sinn des großen Bildersaales
Der Natur enthüllte, je zu schaun!
Konnt‘ im Menschen Gott den Durst entflammen,
Der für Wahrheit brennt, und grausam ihn
Zum Verschmachten dann so tief verdammen?
Ihm den Becher zeigen, und entziehn?
Gott! ein Gott! ach, irrend such‘ ich ihn! –
Draußen, in der blaugewölbten Halle
Seines Tempels, such‘ ich seine Spur;
Suche Hoffnung, Trost und Ruh‘, und falle
Weinend in die Arme der Natur.
An die Sterne heften meine Klagen
Manches tiefe, seufzende Warum?
Keine Antwort spricht aus meinen Fragen;
Alles schweigt, die Mitternacht ist stumm.
Nächtlich einsam wandl‘ ich durch die Heide,
Wo mein Geist den weiten Raum durchschifft.
Wer enthüllt mir diese Sternenschrift
An dem feierlichen Prachtgebäude?
Wer enthüllt die Flammeninschrift mir
An der Kuppel dieses großen Domes?
Waltet eines Gottes Finger hier?
Waltet er im Glanz des Weltenstromes,
Und im Bach, der durch die Felsen hüpft?
Lebt ein Gott im Menschen und im Wurme?
Hör‘ ich dort ihn in dem Donnersturme?
Hier im Säuseln, das durch Myrten schlüpft?
Sieh! am Himmel leuchten tausend Sonnen
Einen stillen Geist zu Gott hinan;
Aber blick‘ auf unsre Welt: – o dann,
Was dein Glaube dort an Licht gewonnen,
Löset hier in Graun und Nacht sich auf,
Und ein Sturm empörter Schmerzen
Schreit im tiefzerrißnen Herzen
Eingesungne Zweifel wieder auf
Freundlich tritt die Sonn‘ auf ihre Wolke;
Doch den Wahn, der Menschen noch bethört,
Strahlt sie nicht hinweg aus diesem Volke,
Welches ewig, ewig sich zerstört.
Sieh! da ziehn die wilden Blutvergeuder,
Mord in Händen, Mord im wilden Blick!
Ist ein Gott? ein Rächer und die Schleuder
Seines Blitzes hält den Strahl zurück?
Elend seufzet dort in dunkler Kammer!
Laster stehen, wo die Tugend fällt!
Ist ein Gott? und so zerdrückt von Jammer
Die hinausgestoßne Welt?
In Cypressen hüllt ihr Haupt die Duldung,
Und die Tugend erntet Hohn und Spott!
Unschuld trägt die Strafe der Verschuldung!
Edle darben, und es ist ein Gott? –
Oder führt den großen Zug ein Blinder?
Waltet überall ein blindes Los?
Sind die Welten ausgesetzte Kinder?
Fielen sie auf keinen Pflegeschoß? –
Aber sieh! es leuchtet, still und groß,
Hohe Weisheit auf an jeder Pflanze;
Von dem königlichen Cederkranze
Bis hinunter auf das niedre Moos. –
Dennoch, tief verhüllt und leise,
Schreitet eine finstre Macht daher,
Für das Ohngefähr zu weise,
Für die Weisheit zu sehr Ohngefähr.
Ja! das ist die Macht, die feindlich
Unsern schönsten Traum zerstören darf;
Die den Kranz zerreißt, den still und freundlich
Zarte Lieb‘ in unser Leben warf.
Stimmentöne ziehn um unsre Lauben,
Seufzend hier, dort jauchzend, ab und auf.
Eine Stimme ruft den Glauben,
Eine andre jagt den Zweifel auf.
»Sagt, wo wird dies Streitgetön verhallen?«
Fragt des Dulders thränenvoller Blick.
»Wohnet dort in jenen Sonnenhallen
Ein versöhnendes Geschick?
Unter welcher neuen Frühlingskrönung
Wird die Liebe ihren Himmel weihn?
Oder wird kein Fest der Weltversöhnung
Und wird nirgends Recht und Friede sein?« –
Ob ein Gott sei? ob er einst erfülle,
Was die Sehnsucht weinend sich verspricht?
Ob, vor irgend einem Weltgericht,
Sich dies rätselhafte Sein enthülle?
Hoffen soll der Mensch! er frage nicht!
Die du so gern in heil’gen Nächten feierst,
Und sanft und weich den Gram verschleierst,
Der eine zarte Seele quält,
O Hoffnung! laß, durch dich emporgehoben,
Den Dulder ahnen, daß dort oben
Ein Engel seine Thränen zählt!
Wenn, längst verhallt, geliebte Stimmen schweigen;
Wenn unter ausgestorbnen Zweigen
Verödet die Erinnrung sitzt:
Dann nahe dich, wo dein Velaßner trauert,
Und, von der Mitternacht umschauert,
Sich auf versunkne Urnen stützt.
Und blickt er auf, das Schicksal anzuklagen,
Wenn scheidend über seinen Tagen
Die letzten Strahlen untergehn:
Dann laß ihn, um den Rand des Erdentraumes,
Das Leuchten eines Wolkensaumes,
Von einer nahen Sonne, sehn! –
Aus den Blicken dieser Hoffnung schimmert
Warmes Leben in den kalten Schoß
Eines Daseins, dem ein hartes Los
Jede Ruh‘ und jeden Trost verkümmert.
Wenn sie aufgeht – o wie still und groß!
Wie ein Engel, still und groß erscheinend!
Was Tyrannen kalt und seelenlos
Vor sich niedertraten, neigt sich weinend,
Selig weinend hin auf ihren Schoß.
Süße Hoffnung! unter Friedensharfen
Bildete sich dein Vergöttrungstraum;
Kalte Todesstürm‘ und Zweifel warfen
Nachtgewölk in diesen lichten Raum.
Wankend irr‘ ich, wie in dunkler Höhle,
Die den Blick ins Freie mir beschränkt;
Und die Seele – – Doch was ist die Seele,
Weißt du, wie sie lebt, und wie sie denkt?
Weißt du, ob sie einst noch retten werde
Dieses Leben ihrer innern Welt,
Wenn um sie das Haus von Erde,
Wo sie wohnt, in Staub zerfällt?
Ihre Kraft, muß sie durch Schmerzen reifen,
Ohne je der Reife sich zu freun? –
Keine Antwort! Diese Fragen greifen
Finster in die Finsternis hinein.
Nur ein schwermutvolles Mondgezitter
Wirft ihr durchs Gefängnisgitter
Einen matten, kranken Strahl herein.
Ach! sie schaut hinaus, und draußen wanken
Die Gestalten um ein weites Grab.
Blüten sinken, Früchte fallen ab
Von den Zweigen, so die Höhl‘ umranken.
Trat ich hin an den Naturaltar,
Um darauf, als Opfer, zu verbluten?
Bringt das Leben seine zwei Minuten
Zitternd der Vernichtung dar?
Leer war meine Stelle, eh‘ ich war;
Ist der Schritt zum Nichtsein nicht derselbe,
Der der Schritt vom Nichtsein ist?
Sieh! wir treten in dies Prachtgewölbe,
Schaun hinauf, und scheiden unvermißt.
Frag‘ das Leben! Hat es mehr zu sagen?
Schleicht dort nicht in abgeblühten Tagen
Die Vergangenheit, wie ein Gespenst?
Frage dich, ob du den Mann noch kennst,
Der, vom Glanze seiner Geistesgaben
Weggesunken, nun im Dunkel lebt?
Eh‘ der Rasen uns begräbt,
Hat uns schon die Zeit begraben.
O Natur! an deinen Blutaltar
Tritt die Zeit, und bringt den Stolz der Höhen,
Selbst der Tugend heilige Trophäen
Bringt sie dir, zu teuern Opfern, dar! –
Armes Dasein, das, sich stolz erhebend,
Über seinen Raum hinüber lauscht,
Immer, hin nach Idealen strebend,
Mängel nur um andre Mängel tauscht!
Eingeweiht zum Lichtgenossen,
Fragt der Forscher, wo die Wahrheit wohnt;
Aber sieh! der Himmel ist verschlossen,
Wo die hehre Göttin thront.
Ach! wir spähn und ringen nur vergebens!
Nebelwüste starrt um unsre Bahn;
Und am finstern Eingang dieses Lebens
Harret schon auf uns der Wahn,
Der uns fort durch jede Krümme
Labyrinthischer Gewinde reißt!
Dennoch hat die Wildnis eine Stimme,
Die uns Seligkeit und Licht verheißt. –
Seligkeit! – aus welcher lichten Sphäre
Warfst du deinen Schatten uns herab?
Dunkel spiegelt er in jeder Zähre,
Die auf Freudentrümmer fällt, sich ab.
Reichre Fülle zündet tiefres Sehnen
In dem stürmevollen Busen an.
Sinkt verarmt, was dürftig hier begann;
Warum fodern unsre Thränen,
Was kein Gott gewähren kann?
»Laß uns,« spricht ein Weiser, »las hienieden,
Wenn wir das ersehnte Dort nicht schaun,
Laß durch Tugend uns den Frieden
Eines Erdenhimmels baun!« –
Einen Frieden im Getümmel
Dieses wandelbaren Glücks?
Armes Herz! so baue deinen Himmel
In die Schranken eines Augenblicks! –
Möge sich der hohe Weise rühmen,
Diese Weisheit zu verstehn:
Sich den Weg zum Nichtsein zu beblümen;
Ich kann nicht so glorreich untergehn.
Winken dort nicht höhere Berufe:
Dann ist Tod, und nichts als Tod, um mich;
O dann steht das Tier auf seiner Stufe
Höher, seliger, als ich!
Fröhlich zirpt die Grille durch die Heide,
Fröhlich hat sie einmal ausgezirpt,
Wenn der Mensch mit jeder Freude,
Die dahin stirbt, einmal stirbt.
O, Zerstörung! welche Todeswunden
Drohn den feierlichsten Weihestunden!
In die Lust verkleidet sich der Schmerz.
Liebe! Lieb‘, um deine Rosentage
Flattert selig der bekränzte Scherz:
Dort sieh hin! am stummen Sarkophage
Weint und blutet ein verwaistes Herz! –
Lieb‘ und Freundschaft! müßt ihr so verschwinden,
Im Gebiete, das ein Wurm verheert:
Und ihr dürft ein Engelreich verkünden,
Das die großen Opferungen ehrt?
Dies Emporschaun von dem engen Thale,
Ist es Wahnsinn? ist’s ein Flug im Traum? –
Und doch leuchtet’s oft in diesem Raum,
Als ob Götterglanz vorüber strahle.
O, der edle, hohe Tugendsinn!
Wird er nie Vollendungskronen tragen?
Geißeln uns so zwecklos hundert Plagen
Durchs Gewühl des Lebens hin?
Eines Lebens, das wir nicht begreifen,
Wenn es darum nicht der Zeit entquoll,
Um an einer Ewigkeit zu reifen?
Welch ein Leben! Weißt du, was es soll?
Sieh‘ es an! kein Fiebertraum ist bunter,
Weise fallen, die ein Narr begräbt;
Hehras Seelenlicht ging unter,
Und der düstre Wahnsinn lebt!
Schau! hier sinkt der Kindheit frische Jugend,
Dort des Alters graue Kindheit hin!
Frag‘ das Laster, frag‘ die Tugend!
Hat das Leben einen Sinn?
Ist der Lichttag göttlicher Aurele,
Tief zur Nacht hinabzusinken, wert?
Wird die Nacht in der Tyrannenseele
Nie zum heitern Lichttag aufgeklärt?
Horchend tret‘ ich an die dunkle Pforte,
Wo die trauernden Cypressen wehn;
Murmeln hör‘ ich dumpfe, düstre Worte:
»Blühen, wachsen, welken und vergehn!« –
Wag‘ es nicht, das Haupt emporzuheben!
Vor dir steht er, des Vernichters Thron.
»Schau! ich bin das Elend,« spricht das Leben
Zu dem Menschen – »und du bist mein Sohn!«
Ja, der Lufthauch, der den Halm umfächelt,
Hob das Röcheln einer Brust empor;
Und der Tau, worin die Rose lächelt,
Drang, als Scheidethrän‘, einmal hervor!
Was erringt die junge Kraft des Strebens?
In dem zarten Pulse klopft und dringt
Ein Zerstörer an die Thür des Lebens,
Bis der Einbruch, den er droht, gelingt.
Sagt, verborgne Mächte! warum wüten
So viel Stürme nieder unsre Blüten?
Warum fällt der Mensch nicht unbedroht?
Wird ihm nichts den finstern Gang vergüten?
Warum fühlt denn er nur seinen Tod?
Sprecht! hat die Natur des Todes Schrecken
Darum in dies Dasein hingestellt,
Um den Erdentraum hinaus zu wecken
Zu der Feier einer Götterwelt?
Sagt! was giebt der Tugend Mut, zu handeln,
Kraft, sich auf zu kämpfen, wenn sie sinkt,
Und getrost den Klippenweg zu wandeln:
Wenn da drüben keine Krone winkt?
Wird die kalte Weisheit Fluten hemmen,
Die der Sturm auf wilden Flügeln trägt?
Diese Welle, die das Ufer schlägt,
Wird, trotz ihr, das Ufer niederschwemmen.
Mächtig dränget uns durch Lust und Schmerz
Die Natur, von That zu That, hinüber.
Gieb dem Herzen eine andre Fiber:
Und es ist nicht mehr dies Herz;
Und es knüpfen andre Folgenreihen
Sich an andre Thatenreihen an.
Wenig von dem Mann, dem wir verzeihen,
Oder den wir richten, ist der Mann.
Nur ein Funken Lebensfeuer minder
In Piedros1 flammenreichem Blut:
Und er wurde nicht der grause Sünder,
Und Vanina nicht ein Raub der Wut.
Mit dem Rachedurst der Eumeniden2,
Der sich flammend durch sein Herz ergoß,
Mußt‘ er’s rächen, daß die Gattin Frieden
Mit des Vaterlandes Mördern schloß;
Mußte – denn er höret vor dem Grimme,
Der ihn aufstürmt, keine süße Pflicht,
Höret nicht der Unschuld sanfte Stimme,
Hört den Schrei der zarten Kinder nicht!
Welch‘ ein Widerstreit der Kräfte,
Der den Willen hier- und dorthin reißt!
Ist es Ebb‘ und Flut der Nervensäfte?
Ist es Körper oder Geist?
Ist der Mensch ans große Rad gekettet,
Das sich ewig um sich selber kreist?
Was ist unsre Tugend dann? was rettet
Dann die Freiheit unserm Geist?
Tugend! Tugend! deine Kränze pflegend,
Feiert dich das stille Herz so gern;
Aber hin durch diese heitre Gegend
Zieht das Schicksal, wie ein Nebelstern.
Dürfen wir von Freiheit träumen?
Fühlen wir bei jedem Schritte nicht
Unsre Ketten und ihr Lastgewicht?
Heil’ge Stellen selber mußt du räumen,
Wenn gebieterisch das Schicksal spricht.
Mögen wir dem Doppelzwang entfliehen?
Wir sind Kinder der Natur
Und des Schicksals, ihren Phantasien
Hingegebne Kinder sind wir nur.
Sturm von außen, Sturm von innen
Reißt den Menschen aus dem Schoß
Seiner Ruh‘; und frevelndes Beginnen
Ist nicht Schuld, es ist sein Los,
Ist der Geist, der – unbekümmert,
Ob das Gute endlich siegt,
Oder ob’s ein Rasender zertrümmert –
Durch das weite Leben fliegt.
Rauschen hört der Mensch die dunkle Schwinge,
Die den Ozean der Welt bewegt,
Felsen hebt, und Felsen niederschlägt;
Stürmend reißt ihn fort die Flut der Dinge,
Weiß er, wie? wohin die Flut ihn trägt?
Ihre Welleneile jagt den Weisern,
Wie den Thoren, hin durch Schmerz und Lust.
Hart und drückend, kalt und eisern
Liegt des Schicksals Hand auf unsrer Brust.
Tugend! Tugend! doch soll ich dich feiern!
Eine leise Stimm‘ im Herzen spricht’s.
Ach! wer mag das Rätsel mir entschleiern,
Daß der Mensch hier alles wird und nichts?
Sieh! da steh‘ ich nun und wanke,
Gleich dem Wandrer, auf beschneiter Bahn;
Und in einem wüsten Ozean
Rudert, ohne Kompaß, mein Gedanke,
Ohne je dem Ufer sich zu nahn:
Und kein Pharus3 wirft auf so viel Syrten,
So viel Klippen ein willkommnes Licht!
Ach! kein Pharus leuchtet zu den Myrten,
Wo die Freiheit ihre Kränze flicht!
Tugend! Tugend! doch soll ich dich feiern!
Ist’s ein Gott, der, hinter dunkeln Schleiern,
Wunderbar zu meinem Herzen spricht?
Brannt‘ ein Gott dies Feuer ungestillter,
Heißer Sehnsucht tief ins Leben ein?
Werd‘ ich einst, du heiliger Verhüllter,
Werd‘ ich freier und dir näher sein? –
Heil’ge Nacht! du führest deine Globen
Still und friedlich durch den Himmelsraum;
Wohnet Licht und Friede nur dort oben?
Ist hienieden alles Traum?
Traumgestalten gleich, dahingeschwunden
Sind, im wilden Kampfe des Gewühls,
Die erhabnen, großen Weihestunden
Unsers zartesten Gefühls.
Hat der edle Sieger welke Kränze,
Hat er Totenkränze nur gepflegt,
Die er, scheidend, an der öden Grenze
Dieses Lebens niederlegt?
Ruhe, dich! dich such‘ ich, holder Friede!
Suche dein Gestirn am Himmel auf;
Tief im Dunkel, tief verirrt und müde
Schließt dein Pilger seinen Lauf.
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