Ich frage mich in den letzten Tagen häufiger, ob man nicht in einen allumfassenden Winterschlaf treten sollte. Mindestens bis März. Die aktuelle Situation in Irland oder Großbritannien verheißt nichts Gutes und zeigt, dass jede Art von Lockerungsmaßnahmen gut überdacht werden sollte. Das Problem: Der Mensch. Warum ist für uns so schwer im Zusammenleben Gewohnheiten abzulegen?
Wenn ich einen Ausblick auf das noch ganz junge Jahr wagen darf, dann sind es die folgenden 5 Themen, die mich am meisten beschäftigen werden:
Konzertleben 4.0 – noch digitaler
Bereits in meiner Podcast-Serie zum Thema „Digital das neue Kapital“, habe ich mich gefragt, wie das Konzertleben der Zukunft aussehen sollte. Im Interview mit Eva wurde deutlich, dass es super wäre eine gute Mischung aus Allem zu haben (live und digital). 2021, so befürchte, wir aber dennoch die schöne neue Welt noch deutlicher zu Tage treten. Ganz nach dem Motto: „Ich streame, also bin ich“ . Ich werde diese Podcast-Serie fortsetzen. Dabei erwarten euch spannende Interviewpartner aus der Opernwelt, aber auch Wissenschaft und Politik.
Hauptaugenmerk für mich wird aber auch die Arbeitsweise eines Berufsmusikers im digitalen Umfeld sein. Zunächst gilt es hier den Jungle an Plattformen zu entwirren und aufs richtige Pferd zu setzen.
Opernleben
Tja, da ist es wieder, dieses flaue Gefühl im Bauch: Große Besetzung, geschweige denn Opernleben wird es sicherlich bis April 2021 nicht geben. Aus meiner Sicht und Erfahrung versuchen die Opernhäuser noch vielerorts den Schein zu wahren, dass ein Betrieb alsbald wieder normal möglich sein sollte. Da werden Probenpläne geschmiedet, die viel zu optimistisch sind. Ich fände hier eine pessimistischere Herangehensweise und eine Planung, die ausschließliche kleinere Besetzungen miteinschließt und multimedial funktioniert der richtigere Weg. Dazu sollte nicht von oben herab beschlossen werden, sondern das künstlerische Personal viel stärker mit einbezogen werden. Warum geschieht das nicht? Die Antwort ist einfach: Dr Opernbetrieb ist der unflexibelste Betrieb, den ich kenne. Budgetpläne sind starr und darum häufig ungerecht. Dabei finde ich nach wie vor, dass die Debatte, ob Frau Mutter oder Frau Netrebko nun zu viel Gage bekommen wirklich verfehlt. So klärt uns doch Wotan bereits dazu auf:
„Wohl dünkt mich’s, was sie bedangen, die dort die Burg mir gebaut; durch Vertrag zähmt ich ihr trotzig Gezücht, daß sie die hehre Halle mir schüfen; die steht nun – Dank den Starken! – um den Sold sorge dich nicht.“
Rheingold 2. Szene, Wagner
Ich will damit sagen, dass die Gehälter gemessen an der jetzigen Situation zu hinterfragen sind, aber Verträge nun mal nicht gebrochen werden können.
Nach einer Adventsvesper im Dezember kam eine Frau aus dem Publikum zu mir und sagt mir, dass sie nicht verstehen könne, warum der Operndirektor ein überdurchschnittliches Managementgehalt verdient, während freischaffende Gäste überhaupt nicht für ihren Vertrag kompensiert werden. Die Umverteilung ist vielleicht das eine, aber ich denke auch, dass niemand ohne Leistung vergütet werden möchte. Opernsänger sind doch bitte keine Bettler. Ich befürchte, dass 2021 zeigen wird, welche Häuser hier einen mutigen Blick nach vorne gerichtet, Überstunden bei dem Ummodeln von Verträgen und Abständen in Kauf genommen und kreativen Input ihrer Künstler gehört haben. Hier sehe ich Hoffnung und eine Zukunft für die Opernwelt, deren Publikum live gerne wieder dabei ist. Für alle anderen wird es schwer.
Reisen
Für mich wird 2021 als Künstlerin definitiv ein Jahr, indem ich meine lokale Szene hier in Leipzig viel mehr ausbaue und mich lokal vernetze. Die Krise hat auch bei mir ein Umdenken erzeugt und häufig gab es doch auch Konzerte im europäischen Ausland, die ganz gut Kollegen vor Ort hätten singen können. Dieser Punkt wird einen Einfluss auf das Konzertleben haben, da die große Ära der Stars vorbei ist. Die neuen Klassikstars der Zukunft werden diejenigen sein, die zusätzlich zu ihrer Profession einen direkten Einfluss auf die Menschen haben (Influencer) und Menschen von dem Entertainmentkonsum zurück verhelfen zu einem tieferen Verständnis des eigenen Ichs und der Außenwelt. Das ist sicherlich ein Grund, warum Igor Levit so erfolgreich ist. 2021 wird aufgrund der Reiseeinschränkungen diese Bewegung weiter verstärken.
Pina Bausch – nachträglich zum 80. Geburtstag
Das letzte Jahr hätte eigentlich ein Jubiläum sein sollen. Pina Bausch wäre 80 Jahre alt geworden. Für 2021 habe ich mir vorgenommen mich ihrem Werk intensiv zu widmen. Die Würdigung ihres Werkes und die Auseinandersetzung im Bereich des Musiktheaters wurde viel zu wenig Beachtung geschenkt. Mein Projekt Sehnsucht nach KONG wird eine erste Annäherung sein. Mehr Infos dazu findet ihr hier.
Deutschland – eine Bildungsgesellschaft?
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei and Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh‘ ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!
Faust 1. Teil, Goethe
Im Wahljahr 2021 wird es sicherlich wieder viele Meinungsgeber und Meinungsmacher geben, die von der eigentlichen Sache wenig oder gar nichts wirklich wissen, aber Meinung besitzen. Die Ära von Mama Angi wird dann vorbei sein und ich hoffe, dass uns auch nicht so ein trumpity KanzlerIn vorgesetzt wird. Ein kühler Kopf, Bescheidenheit und vor Allem Forschung und Wissenschaft sollten dabei helfen Zusammenhalt zu schaffen und die Medien als das zu sehen, was sie sind: Mittel der Kommunikation. Sie sind kein angeeignetes Wissen. Die Bewältigung der Krise hängt stark von der Lernbereitschaft unserer Gesellschaft ab. Dieses Jahr wird auch zeigen, ob wir noch das Potenzial haben eine Bildungsgesellschaft zu werden.
Jetzt bleibt mir nur eine kleine Ankündigung in eigener Sache zu machen:
Ab nächster Woche können wir nun, wenn auch eingeschränkt, die ersten Teile der Interviewreihe für #sogehtsächsich drehen. Das Dialog-Forum ZUKUNFTSMUSIK wird dann auf mehreren Kanälen Mitte Februar 2021 ausgestrahlt werden. In meinem Podcast Oper & Leben werde ich jetzt im Januar in Kooperation mit dem Goethe Museum Düsseldorf #goethemoma über Goethe-Vertonungen schwerpunktmäßig bei Beethoven sprechen.
Ich würde mich freuen, wenn ihr dann auch mit dabei seid.
Bis dahin wünsche ich euch eine kreative Woche.